Parallelimport von patentierten Gütern – anwendbarer Erschöpfungsgrundsatz

Schweiz

Um Parallelimporte von komplexen Produkten zu ermöglichen, auch wenn unbedeutende Elemente dieser Produkte einem Patentschutz unterliegen, sieht das Schweizer Patentgesetz vor, dass in Bezug auf solche Produkte eine internationale Erschöpfung des Patentrechts stattfindet. Gemäss einer kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundespatentgerichts werden zur Vermeidung einer internationalen Erschöpfung hohe Anforderungen gestellt.

Bis am 01. Juli 2009 galt in der Schweiz im Patentrecht das Prinzip der nationalen Erschöpfung. Dies bedeutet, dass Patentrechte an konkreten Produkten in Bezug auf Schweizer Patente nur dann erschöpft waren (und somit nicht nochmals in Bezug auf diese Produkte geltend gemacht werden konnten), wenn diese Produkte in der Schweiz auf den Markt gebracht wurden. Inhaber eines Schweizer Patents konnten somit Parallelimporte patentgeschützter Güter gestützt auf ihre Patentrechte verhindern.

Da dies eine Preisdifferenzierung patentgeschützer Produkte vereinfacht und Produkte in der Schweiz oft zu deutlich höheren Preisen verkauft wurden als im Umland, hat das Parlament aus wirtschaftlichen Überlegungen beschlossen, zur so genannten "regionalen Erschöpfung" überzugehen, d. h. Patentrechte in Bezug auf ein bestimmtes Produkt sind erschöpft, wenn es innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) vom Patentinhaber oder mit dessen Zustimmung in Verkehr gebracht wurde. Falls der Patentschutz für die funktionelle Beschaffenheit der Ware nur untergeordnete Bedeutung hat, gilt sogar die internationale Erschöpfung, d. h. der Patentinhaber kann gestützt auf seine Patentrechte nicht mehr gegen Produkte vorgehen, die er irgendwo auf den Markt gebracht hat bzw. welche irgendwo mit seiner Zustimmung auf den Markt gebracht wurden.

Diese Grundsätze gelten seit 01. Juli 2009, gerichtliche Entscheide standen bisher aus. Mit der Entscheidung im Verfahren S 2016_006 des Schweizer Bundespatentgerichts vom 14. Juli 2016 hat sich dies geändert.

Am 12. Juli 2016 hat die Klägerin, eine Automobilherstellerin, beim Bundespatentgericht gestützt auf ein Europäisches Patent mit Schutzwirkung in der Schweiz ihre Klage eingereicht. Sie war gegen einen inoffiziellen Autoimporteur gerichtet, der u. a. Autos der Klägerin, die in anderen Ländern auf den Markt gebracht wurden, importierte. Die Klägerin beantragte, der Beklagten das Verkaufen und den Re-Export eines bestimmten Fahrzeugs (identifiziert durch die Fahrzeugidentifikationsnummer) sowie den Parallelimport von Autos bestimmter Typen von ausserhalb des EWR, deren Verkauf und Re-Export zu verbieten.

Das Gericht trat auf das zweite Rechtsbegehren nicht ein, weil die Typenbezeichnung zur Bezeichnung der betroffenen Fahrzeuge nicht ausreichend sei – es fehlten Angaben, durch welche konkreten technischen Merkmale das Streitpatent bei diesen Fahrzeugtypen benutzt werde.

In Bezug auf beide Anträge erachtet das Gericht die Verletzung des klägerischen Patents als nicht substantiiert. Die Verletzung wird von der Klägerin durch die Vorlage eines patentanwaltlichen Gutachtens begründet. Auf das Gutachten wird in der Gesuchsschrift nur pauschal eingegangen, im wesentlichen wird das Ergebnis des Gutachtens rekapituliert. Das Gericht erachtet dies nicht als substantiierte Behauptung einer Patentverletzung. Entscheidend sei, was in der Rechtsschrift selbst dargelegt werde. Ein globaler Verweis auf ein Parteigutachten sei unzulässig.

Insofern ist interessant, dass es sich bei der Klägerin letztlich um die Herstellerin der fraglichen Fahrzeuge handelt, bei der Beklagten um einen (inoffiziellen) Importeur . Es reiche aber nach Meinung des Gerichts nicht aus, dass die Klägerin eine Verwendung durch sie selbst geltend mache. Auch in diesem Fall müsse die Verletzung substantiiert werden.

Obwohl der Einzelrichter aus den vorgenannten Gründen alle Rechtsbegehren abweist bzw. auf sie nicht eintritt, macht er ergänzende Ausführungen zur Frage der Erschöpfung. Weil das bestimmte Fahrzeug gemäss dem ersten Rechtsbegehren zunächst nach Mazedonien geliefert wurde, welches nicht Mitglied des EWR ist, scheidet eine regionale Erschöpfung aus. Es ist aber zu prüfen, ob der Patentschutz für das in Frage stehende Produkt nur von untergeordneter Bedeutung ist.

Diese untergeordnete Bedeutung wird vermutet, wenn der Patentinhaber nicht das Gegenteil glaubhaft macht. Im vorliegenden Fall macht die Klägerin geltend, die im Streitpatent beanspruchte Vorrichtung zum Zirkulieren von Kühlmittel in einem Turbolader sei wichtiger und nicht abtrennbarer Bestandteil des Kühlsystems für den Turbolader. Ohne diese Vorrichtung drohe eine erhöhte Lärmbelastung, ein Leistungsverlust des Motors, Schäden an den Bauteilen durch Überhitzung und eine empfindliche Einbusse bei der Sicherheit.

Das Gericht konsultiert die Beschreibung des Streitpatents, wonach die Vorrichtung zum Zirkulieren von Kühlmittel die Geräuschentwicklung aufgrund des in den Turbolader einströmenden Kühlmittels im Leerlauf, nach dem Neustart des Wagens vermeide. Vom Leistungsverlust des Motors, Schäden an Bauteilen usw. sei nicht die Rede. Somit sei die Vorrichtung "nice to have", aber dem Patentschutz komme für die funktionelle Beschaffenheit der Ware nur untergeordnete Bedeutung zu. Somit sei in Bezug auf den Wagen des Typs 1 eine internationale Erschöpfung eingetreten, so dass der Patentschutz – auch unabhängig von der fehlenden Substantiierung der Verletzung - nicht in Anspruch genommen werden könne.

Gemäss den Ausführungen zur Erschöpfung scheinen hohe Anforderungen an die Bedeutung eines patentierten Elements im Rahmen einer (komplexen) Vorrichtung gestellt zu werden, damit nicht von einer internationalen Erschöpfung ausgegangen wird. Der Inhalt der Beschreibung eines Patents kann offenbar entscheidend für die Frage der Bedeutung im Gesamtkontext sein. Es dürfte sinnvoll sein, dies bei der Redaktion zukünftiger Patente zu beachten. Es dürfte ferner sinnvoll sein, bei Klagen oder Anträgen im Zusammenhang mit parallel importierten Produkten umfassende Beweismittel zur Bedeutung des patentierten Gegenstands für das Gesamtprodukt vorzulegen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Selbst wenn es angefochten werden sollte, besteht aufgrund der weiteren Abweisungs- bzw. Nichteintretensgründe keine Gewähr, dass die Frage der Bedeutung im Zusammenhang mit der Erschöpfung bereits jetzt weiter geklärt wird.

Links: https://www.bundespatentgericht.ch/fileadmin/entscheide/S2016_006_Urteil_2016-07-14.pdf